Bequemlichkeit

Foto von Gunther Martin

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Wie in vielen moderneren Büros beginnen wir unseren Tag mit einem daily-stand-up. Die to do´s des Tages werden in gemeinsamer Runde ausgetauscht, die Erledigungen des Vortrags ins „Done“ gehängt. (Als Erklärung für unser „daily“ greift das zwar etwas kurz, aber hier soll es gerade reichen.) Ich beobachte, dass es allen gefällt „gedont“ zu haben, viele bunte Post its - egal ob digital oder analog - in dem entsprechenden Feld auf unserer großen Tafel zeigen Produktivität, Tatkraft und versprechen bald gemeinsame Pizza.

Insgesamt laufe ich mit meinem Team gerne auf Hochtouren, viele Projekte auf der Tafel, viel zu tun, das ist gut so. Da ich ideenreich und umtriebig bin, bleibt das auch so. Insgesamt würde ich, und wohl viele andere auch, von mir sagen, dass ich ein temporeiches, buntes und sehr aktives Leben führe. Aber:

Ich habe ein Bequemlichkeitsgen in mir. Eines, das mich verführt, mich aufs Sofa zu werfen und faul zu sein. Die jeweils gemütlichste Ecke jedes Sitzmöbels ist gefälligst meine. Natürlich weiß ich, dass Entspannung enorm wichtig ist, und dass es bei einem „Leben auf der Überholspur“ durchaus Gegenpole braucht. Im tiefsten Inneren mag ich mich aber nicht dafür, dass ich Bequemlichkeit so mag, gemütlich und komfortabel, warm und kuschelig.

Bequemlichkeit beinhaltet für mich nicht nur das Entspannende, sondern auch das Träge. Ja, auch die Trägheit kenne ich, die breitet sich dann in mir aus und nimmt mir den Antrieb, meine Zeit wertvoll zu nutzen. Diesen Spagat spüre ich immer deutlicher. Einerseits diese gewisse Erschöpfung, die mich in die Sofaecke drängt, andererseits dieses Stimmchen, das mich antreibt, meinen Geist zu fordern, meinen Beitrag zu bringen.

Mit steigendem Lebensalter spüre ich, wie viel besser ich mit meiner Kraft haushalten muss. Ich empfinde es so, dass ich sechs Stunden am Tag mit geballter Energie aufwarten kann, so als sei ich 34, danach jedoch bin ich so erschöpft als sei ich 84 und hätte zusätzlich gerade einen Marathon hinter mir.

Der ziemlich alberne Spruch „ich bin nicht klein, ich bin ein Konzentrat“ trifft jedoch ein wenig auf mich zu. Groß bin ich wirklich nicht, ich spüre und weiß aber auch, dass ich mit meinem Kennen und Können einen wertvollen Beitrag liefern kann. Ich kann ganz besonders gut jungen Frauen (nicht nur!) auf die Sprünge helfen. Ich kann Potenziale wachküssen und Entwicklungssprünge initiieren. Ja, so etwas kann ich sehr gut. Weil ich Menschen liebe und weil ich mich wahrscheinlich stets entwickeln durfte. So habe ich eigentlich immer einige Mentees. Ich scheine diejenigen anzuziehen, die eine Unruhe oder Unzufriedenheit in sich spüren mit dem „so wie es ist“. Begabte junge Frauen, die mehr bewegen wollen, ihre Kraft sinnvoller investieren wollen als in dem Feld, das ihnen gerade zugeteilt wurde. Das kann ich gut, da ich fast immer den Weg finde, der es möglich macht, eigenen Anspruch und Anforderung zu vereinen. Ich liebe diese tiefen Gespräche, weil ich gerne tiefe Gespräche führe und damit dann die Chance habe, meinen kleinen Weltverbessereransatz zu multiplizieren.

Meinen inneren Bequemlichkeitskampf muss ich also immer wieder ausfechten. Stets auf der Suche nach einer guten Balance von Anspannung und Entspannung, sich verschwenden und sich sammeln.

Irgendwann ist mir jedoch mal aufgefallen, wie schrecklich stumpf fernsehende Menschen aussehen. Das kann eigentlich nicht gut sein für den Geist. Gleichzeitig liebe ich inzwischen die guten on demand-Serien. Ich kann da inzwischen richtig in einen Serienflow kommen: Rectify, in Treatment, Gilmore Girls… wunderbar. Ich weiß ja auch die richtige Antwort… alles in Maßen…. Ja, ja… nur noch diese 97 Folgen… dann habe ich wieder mehr Zeit, meine kleine Welt besser zu machen… aber bis dahin…

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