Wichtigster Mensch

Foto von Gunther Martin

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Natürlich gibt es Lieblingsmenschen, die sind enorm wunderbar und wichtig, aber um die geht es heute nicht.

Es geht um niemanden spezielles, aber es geht um jeden… Es geht um unser Kind, die Freundin, den Mitarbeiter, die Frau in der Kantine, es geht um den Kollegen, es geht um den Schaffner im Zug, es geht um den Nachbarn auf einer Konferenz…

Und Ausgangspunkt sind wir selber. Wie verhalten wir uns mit den Menschen um uns herum? Sind wir in unserer Freundlichkeit wählerisch? Muss mein Gegenüber sich Aufmerksamkeit und mein-zugewandt- sein verdienen? Muss er wichtig für mich sein, muss ich etwas davon haben, damit ich es aufbringe?

Ich weiß nicht, ob es auch kulturelle Aspekte hat, wahrscheinlich schon. Ich bin ja so gerne in Tel Aviv: Was mir dort immer wieder begegnet, ist eine unglaubliche Aufgeschlossenheit, Freundlichkeit, Verbindlichkeit der Menschen. Ohne Absicht! (Politik schließe ich in diesem Moment völlig aus!). Einfach freundlich: Ob der Taxifahrer, der stolz fragte, ob uns das tolle Essen auch so gut schmeckt, eine Passantin, die uns mit einer Straßenkarte sah und sofort Unterstützung anbot… Da gäbe es noch viele, viele Beispiele.

Aber worauf will ich hinaus? Ich beobachte, inwieweit Menschen bereit und in der Lage sind, ihr jeweiliges Gegenüber so zu behandeln, als sei es in diesem Moment der „wichtigste Mensch“. Ich betone: In diesem Moment!

Was macht den Unterschied aus? Ich bin überzeugt, dass es sowohl eine Haltung als auch eine Fähigkeit ist. Die Haltung der bedingungslosen Freundlichkeit, die Fähigkeit zur absoluten Präsenz. Beides sind nicht angeborene Eigenschaften, sondern trainierbare.

Allem voraus geht natürlich die Erkenntnis, dass das anstrebenswert wäre und die Entscheidung, so sein zu wollen und dann daran zu arbeiten. Gerade hatte ich auf einem Marktplatz die Gelegenheit das krasse Negativbeispiel zu beobachten. Junge Mutter mit zauberhaften zweijährigen Zwillingsmädchen, eines schlief, wahrscheinlich aus purer Verzweiflung, auf dem Rücken im Tuch, das andere saß unwillig zappelnd in der Karre, die Mutter total vertieft in ihr Handy – mindestens 30 Minuten lang. Das Beobachten tat fast weh. Die Botschaft, die dort gesendet wurde: Ihr seid jetzt nicht wichtig. (Und ich bin kein Freund der „very important Baby-Eltern“).

Kinder sind natürlich immer ein besonders empfindlicher Punkt. Aber kennen wir das nicht alle: In den alten Zeiten, vor Corona, Größeres Meeting, jemand präsentiert, zwei Drittel der „Zuhörer“ checken Mails auf dem Handy, oder noch krasser: Zeigen ihrem Nachbarn mitten im Vortrag ein lustiges Youtube-Video – ja, alles schon erlebt. Heute ist es wahrscheinlich alles noch viel unaufmerksamer, aber es fällt nicht so auf.

Hier zeigt sich dann weder Haltung noch Fähigkeit zur Präsenz. Bewusst oder unbewusst merkt das jeder Mensch, ob klein ob groß: Bin ich in diesem Moment der wichtigste Mensch für mein Gegenüber? Fühlt doch einfach mal rein in den Unterschied… und fragt Euch, wie steht es bei Euch? Haltung? Fähigkeit? Ich schätze es nicht nur als sehr bedeutsame Führungskompetenz ein, motivierend, wertschätzend, wertstiftend. Es funktioniert auch im Alltäglichen.

Wenn das nicht reicht? Ich finde: UNBEDINGT!

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