Heimat

Foto von Gunther Martin

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Der Urlaub ist vorbei, hoffentlich unbeschwerte Tage weg von zu Hause. Tapetenwechsel, mal raus und was anderes sehen. Die letzten 18 Monate haben ganz gewiss das Bedürfnis bei vielen riesig wachsen lassen, rauszukommen. Ein vielleicht dennoch interessanter Begriff ist für mich das Wort “Heimat”.

Neulich habe ich einen interessanten Artikel darüber gelesen und seitdem spukt es in meinem Kopf umher. Heimat wie klingt dieser Begriff für mich, welche Resonanz erzeugt er? Heimat, es fühlt sich nach Elternhaus, Omi und den samstäglichen Spagetti an. Warm und behaglich würde ich sagen … Aber da ist auch etwas anderes. Gleichzeitig hat es für mich etwas von dem, was wir in Deutschland so schwierig finden, Grenzziehung, deutsch, dunkle Vergangenheit.

Ich habe über eine Studie gelesen, in der viele Menschen zu ihrem Heimatverständnis befragt wurden. Das Fazit über alle Altersgruppen und aller hier lebenden Nationalitäten war, dass die sozialen Aspekte von Nähe, Geborgenheit, Familie und Freundschaft die höchsten Zustimmungen bekamen. Mit dieser Heimat kann ich etwas anfangen. Es ist demnach etwas, was vielmehr mit Menschen zu tun hat, als mit einem Ort. Menschen, zu denen ich Beziehungen habe, die meine Werte teilen oder zumindest akzeptieren. Heimat ist für manche in meinem Umfeld ganz klar ein Ort oder ein Dorf, in dem die Familie schon lange oder sogar ewig wohnt. Dort wird dann auch gebaut und alle wollen und sollen zusammen sein und bleiben. Ein ja schon fast anachronistisches Modell in unserer heutigen globalen Zeit, aber wem es so gefällt und wer es so hinbekommt, dem sei es von Herzen gegönnt.

Mir liegt das so nicht ganz so nah. Ich bin zwar schon lange da, wo ich bin, aber ich hätte und könnte mir es auch anderes vorstellen. So denken mein Lieblingsmensch und ich immer wieder neu drüber nach, was wir wollen, und wo. Irgendwann sind nicht mehr zwei Jobs aufeinander abzustimmen und dieses Irgendwann ist gar nicht mehr so weit. Wer weiß, wo es uns hin treibt…, wir jedenfalls wissen es noch nicht. Eher im Norden, als im Süden. Ich denke, diese „freie Heimatwahl“ liegt auch an unserer Familiengeschichte im Krieg. Da bekam Heimat eine ganz andere Bedeutung. Für die einen Großeltern ist es stets eine Zumutung geblieben, litten sie ihr Leben lang an dem Verlust von Besitz und Status, andere konnten leichter neu anfangen und schauten nach vorne. Wer wohl ein zufriedeneres Leben führte? Meine Omi musste mehrfach alles zurücklassen, neu anfangen und hatte, so glaube ich heute, ausreichend Pragmatismus und verschwendete keine Ressourcen an Wehmut und Jammern. Für sie galt es mehrfach, ein neues Heim zu schaffen, neue Bindungen einzugehen. Mit aller Konsequenz und Verantwortung für sich selbst und ihre kleine Familie – weniger Herkunft, mehr Ankunft.

So etwas funktioniert sogar in Firmen, davon bin ich fest überzeugt: „Heimat auf Zeit“, Gerade in Unternehmen, in denen es viele - und regelmäßige Wechsel gibt, sehr wertvoll. Kollegen können sehr hilfreich sein und Kollegen sind da, bevor es Freunde geben kann. Weniger Herkunft, mehr Ankunft. Am wichtigsten ist wahrscheinlich das Bewusstsein, dass es so etwas geben kann, „Heimat auf Zeit“. Dann kommt die Verantwortungsübernahme für gemeinsamen Ort und Zeit von fast allein. Gerade in der neuen “hybriden” Arbeitswelt wird das noch, noch wichtiger. Wenn wir schon nicht mehr alle am gleichen Ort zur gleichen Zeit sind, dann ist es doch umso wichtiger, dass der gemeinsame Raum eine Chance hat gegen dass gemütliche Homeoffice, also eine attraktive “Heimat auf Zeit” sein kann.

„Zwei Dinge sollten Kinder von ihren Eltern bekommen, Wurzeln und Flügel“, so sagte es Goethe. Diesen Job sollten wir Eltern wirklich, wirklich wichtig nehmen. Eine sichere geborgene Basis, also Heimat bieten und die Vögelchen dann aber auch aus dem Nest schubsen. Flügel ausbreiten lassen und raus in die Welt. Haben wir doch so am besten die Chance, tolerante und weltoffene Menschen zu prägen, die diese Welt so dringend braucht.

Ich versuche mich aber auch um diese Haltung (Wurzel und Flügel) bei mir selbst zu kümmern. Habe ich meinen Stand zu den Dingen? Das kann ich ja nicht mit Ja oder Nein beantworten, denn die Dinge ändern sich und das Leben auch. Diese Frage stelle ich mir also fast ständig und arbeite dran. Schreiben hilft mir bei dieser Suche. Aber auch die Flügel müssen immer wieder bewusst aufgesetzt werden. Immer wieder raus in die Welt, raus in neue Themen, in neue Beziehungen, neue Erlebnisse.

Reisen hilft. Weniger Traumschiff, mehr Road Trip. Echte Begegnungen mit echten Menschen und dafür braucht es übrigens keine Weltreise! Reisen als Flucht scheint ein verbreitetes Phänomen zu sein. Raus aus dem Alltäglichen, ein bisschen Paradies auf Zeit. Ob es hilft? Ich weiß es nicht, gönne aber jedem, was er braucht. Aber die Verantwortung für das, was Heimat ist, und dazu macht, die bleibt.

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