Kulturbooster

Foto von Gunther Martin

Foto von Gunther Martin

Ich liebe Kochbücher. Ich liebe es, sie durchzublättern und in andere Welten einzutauchen, Speisen anzuschauen, Zutaten und Zubereitung durchzulesen. Als phantasiebegabter Mensch gelingt es mir manchmal mir den Geschmack vorzustellen.  Besonders angetan hat es mir in letzter Zeit die levatische Küche und die Anzahl von wunderschönen Büchern in meinem Regal wächst unaufhörlich.

Nun aber habe ich ein ganz anderes Kochbuch geschenkt bekommen – eines mit Rezepten aus Seniorenheimen verschiedener deutscher Regionen. Ein phantastisches Projekt, bei dem junge Köche mit Bewohnern und Bewohnerinnen gekocht und die besten Rezepte in einem Buch veröffentlicht haben. Ein Satz im Vorwort verdient es hier erwähnt zu werden: „Nicht zuletzt ist dieses Buch ein Weckruf, wie wir einer Generation von Menschen in Seniorenheimen mit mehr kulinarischem Respekt begegnen können.“ Was mich beim Blättern hier tief berührt hat, das waren die zauberhaften Fotos von alten - und sehr alten Menschen. Glücklich konzentriert oder richtig beseelt. Ernstgenommen, in Erinnerungen schwelgend…

Was hat mich an diesen Bildern so „getroffen“? Es ist zum einen die sofortige Erinnerung an meine Omi, die bei vielen besonderen Fähigkeiten auch die Meisterin der Suppenzubereitung war. Eine starke Frau, die ihren Mann stehen musste und auch stand. Auch sie war ihre letzten Lebensmonate in einem Pflegeheim, wo die Kulinarik nicht an erster Stelle stand. Ich sehe auch meine Mutter, die Eltern von Freundinnen – verbunden mit traurigen aber auch guten Geschichten und ganz vielen gemeinsamen Essenserinnerungen.

Und es ist natürlich auch der Blick in einen zukünftigen Spiegel. Es ist noch nicht lange her (echt, das ist wirklich noch nicht lange her :-)), da war ich überall die Jüngste. Auch wenn jung sein seine Vorteile hat – der starke und straffe Körper, die Belastbarkeit… so sehe ich auch die großen Vorteile des Älterwerdens. Meine Erfahrung, meine Gelassenheit. Da sind einerseits gute und natürlich auch ein paar blöde Erfahrungen, über die ich viel reflektiert habe und andererseits eine nicht müde werdende Neugier auf Menschen und Lernen - und Rezepte und Kochbücher :-).

Aber es geht nicht nur um´s Altern. Es geht um Respekt. Um gegenseitigen Respekt. Respekt vor dem Anderen, dem Älteren und gleichzeitig dem Respekt vorm dem Neuen, vor dem Bedürfnis, es anders machen zu wollen. Noch bilde ich mir ein, mithalten zu können. Aber es gibt leider so viele Geschichten von Menschen, deren Erfahrung oder auch Lebensleistung plötzlich wenig Wert scheint. Die technisch abgehängt werden, oder deren Werte im “neuen Jetzt” als nicht mehr adäquat - als schlicht als “zu alt” gelten. Die nun anstehende Diskussionen über neue Formen der Zusammenarbeit werden diese Unterschiede laut machen. Es wird sich zeigen, inwieweit es gelingt, Differenzen mit gegenseitigem Respekt zu behandeln. Solche Umbruchsphasen gab es schon immer. Generationskonflikte gibt es, seit es Generationen gibt. Und selten war es so, dass alles Neue gut, das Alte alles schlecht ist. “Das beste aus beiden Welten”, so soll es werden… Ein guter Anspruch, den wir aber nur mit gegenseitigem Respekt realisieren werden.

Vielleicht hilft gemeinsames Kochen und Essen mehr, als mancher Klärungsworkshop. Da begegnen sich Menschen. Präsent. Sinnlich. Jung und älter. Vielleicht sollten wir gemeinsame Kochmöglichkeiten schaffen? Beim gemeinsamen Schnibbeln und anschließendem Essen würden Geschichten erzählt und gemeinsame Geschichte erlebt. Beim Kochen lässt sich manches Experiment mutig wagen, was in seiner Auswirkung begrenzt ist. Außerdem geht Liebe durch den Magen.

Hach, wofür Kochbücher doch alles taugen!

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