Sprachlust - eine wichtige Fähigkeit in digitalen Zeiten

Foto von Gunther Martin

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Sprache, also schöne Wörter, lagen mir schon als Kind. Ich habe gelesen, was die Bibliothek herausrückte und alles, was mir in die Hände fiel. Natürlich war es vor allem der Reiz an tollen Geschichten (ich liebte vor allem alles von Astrid Lindgren, habe aber auch Nesthäkchen, Hanni und Nanni und die drei Fragezeichen verschlungen), aber es waren auch die schönen und besonderen Worte: „Ölf, zwölf, drölf“, die Zählweise aus Bullerbü ist heute noch in meinem Sprachgebrauch.

In meiner Generation war es durchaus noch „normal“, Gedichte zu lesen. Später hatte ich dann große Freude z. B. am Rilke-Projekt, bei dem ausgewählte Texte Rilkes im Zusammenspiel mit eigens komponierter Musik interpretiert werden.

Ich glaube, ich habe eine ausgeprägte Sprachlust; Spaß und Freude an schönen Worten, an schönen Wortbildern und die durch Sprache erzeugte Atmosphäre. Da gibt es die „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz, oder auch Dörte Hansens „Altes Land“, in deren Worten ich jeweils schwelgen kann.

Aber Sprachlust geht für mich weiter: Schreiben, reden, lesen, zuhören – mich fasziniert das alles – immer mehr, ja alles, was mit Sprache zu tun hat. Ich schätze präzises Formulieren, ich liebe aber genauso präsentes Zuhören, auch eine Form von Sprachlust. Ist es nicht auch eine Wohltat, ein schönes Gespräch zu führen oder einen guten Vortrag zu hören, einen, der mit Wortwitz dargebracht wird?

Ein klarer Gedanke verdient klar formuliert zu werden, ebenso verdient er, aufmerksam gehört zu werden.

Sprachlust ist für mich eine Form von Achtsamkeit. Meine drückt sich in dem Bestreben aus, das passende Wort zu finden. DAS genau passende Wort für DIE Situation, oder für DIE Emotion. Das Wort das trifft und das das Denken und Fühlen anregt! Weniger oder gar nicht in der künstlerischen Verwendung unserer Sprache, also der Konstruktion möglichst vieler, ungewöhnlicher Worte. Wer diese Kunst beherrscht, den bewundere ich. Meine Sprachlust bezieht sich auf eine besondere Form der Wertschätzung meines Gegenübers – egal, ob ich spreche, zuhöre, oder einen möglichen Leser meiner Texte dabei “im Blick” habe.

Ich glaube, wir können so nicht nur Missverständnissen vorbeugen. Darüber hinaus gefällt es dem Gegenüber sicher, wenn jemand voll und ganz da ist und erlebbare Freude daran hat, das gesprochene Wort oder auch das, was zwischen diesen Worten liegt, wirklich verstehen zu wollen. Sprachlust kann sich in meiner Welt auch an die Zwischenräume und das nicht Gesprochene wenden. Ich schaffe das auch nicht immer, aber es ist wirklich, wirklich mein Anliegen, darin möglichst gut zu werden.

Sprachlust, und alles, was für mich daran hängt, ist in unseren derzeitigen und wohl auch zukünftigen, digitalen Zeiten um so wichtiger. Achtsames schreiben, reden, lesen, zuhören - das bleibt und es gewinnt an Wert.

In meinem Job geht es immer wieder darum, komplexe Sachverhalte zu transportieren. Diese sind in meinem Feld manchmal eher abstrakt als konkret. Oft erlebe ich die virtuose Verwendung von Bullshitworten – also Containerbegriffen, die gerade en vogue sind, inhaltlich aber oft nicht gefüllt erscheinen. Möglichst viele davon in möglichst wenigen Sätzen. Ich bemühe mich dagegen, sorgfältig formulierte Texte zu verfassen, um für mehr Klarheit in meinen Gedanken und beim Adressaten meines Geschriebenen zu sorgen. Mein Umfeld kennt meine Ablehnung des „Bullet-Point-Denkens“. Ich erlebe es wirklich oft, „machen wir mal schnell eine Folie daraus“, dass also gleich in Bullet-Points gedacht wird. Brainstorming kann man so machen, aber doch nicht mehr!

Zu guter Letzt gilt die Sprachlust natürlich auch für das eigene Denken, im inneren Selbstgespräch: „Worte verändern die Welt – angefangen im eigenen Kopf.“ (Manfred Hinrich) – Und die Kraft schöner Worte liegt dann doch direkt auf der Hand!?


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