Lila Latzhosen

Illustration von Anja Herrmann (Ania Herman)

Illustration von Anja Herrmann (Ania Herman)

50 ist das neue 40; man ist so alt, wie man sich fühlt; wer nicht altwerden will, der muss früh sterben. Dutzende solcher Lebensweisheiten wabern herum und zeigen doch deutlich wie wichtig dieses Thema in unserer Gesellschaft ist – das Altern.

Ich war mit 5 in der Schule, mit gerade 19 an der Uni und schnell fertig. Ich war „immer“ die Jüngste. Ich war eine der letzten im Freundeskreis, die 30 wurde. 40 zu werden hat mich seinerzeit sehr umgetrieben… war es doch gefühlt so eine Grenze zwischen nicht mehr ganz jung und noch nicht alt. Ina Müller hat diese Phase so nett als „auf halber Strecke, zwischen Kuscheltuch und Rheumadecke – ein bisschen dazwischen“ beschrieben.

Nun bin ich 55, fast so alt wie meine Omi, als sie meine Omi wurde. Wenn ich mir Fotos aus dieser Zeit anschaue, dann finde ich es bemerkenswert, wie wirklich „älter“ meine Omi aussah. Ich denke, das war so in der Generation. Viel durchgemacht, wenig Zeit für Sport und Eitelkeit, Wirtschaftswunderessen… das alles hat seine Spuren hinterlassen. Wenn ich meine Freundinnen und mich heute anschaue, dann bilde ich mir ein, dass wir anders aussehen und auch anders sind.

Ich arbeite viel und gerne mit jungen Menschen zusammen. Es interessiert mich, wie sie ticken, was sie umtreibt, was sie sich vom Leben wünschen. Manchmal bin ich verwundert, wie konservativ manche schon in ihren jungen Jahren sind. Als ehemalige Teesocke ist mir das echt fremd. Ja, gefärbte Windeln als Schalersatz, lila Latzhosen, selbstgestrickte Norwegerpullover und flatternde Indienkleider waren der Inhalt meines Kleiderschranks – sehr zum Entsetzen meines Vaters, der sich wohl eine apartere Tochter wünschte. Teesocken waren wir aber nicht nur äußerlich, sondern hatten auch eine rebellische Haltung, gegen Atomkraft, gegen Wettrüsten, gegen Spießer und, und, und… Heute sind wir Teesocken alle über 50 und viele sind so wie wir nicht sein wollten (früher hätten wir es Spießer genannt). War ich früher schnell dagegen, so bemühe ich mich heute aber um inneres Verständnis oder Akzeptanz.

Ich sehe meinen Job als Führungskraft und auch Mentorin im Wesentlichen darin, mit meinen Schützlingen herauszufinden, was sie wirklich antreibt, wo sie auf der Leitung stehen, was in ihnen schlummert und was noch wachgeküsst werden kann. Das sind immer Arbeiten, bei denen ich mich unglaublich wach und lebendig fühle, selbst wenn die Nacht mal wieder nicht so gut war.

Neulich kamen wir in einer Teamrunde auf das Altern zu sprechen und ich berichtete davon, dass ich gehört hätte, dass fast kein alter Mensch wieder jung sein wolle. Es ist inzwischen über Studien belegt, dass Menschen mit 55 heute durchschnittlich zufriedener sind, als mit 25 oder 35. Ich schloss mein Statement damit ab, dass es auch mir so ginge, nicht mit meinen Jungen tauschen zu wollen. Spontan schoss es einer jungen Mitarbeiterin heraus: „Und wir auch nicht mit dir!“ Sie bekam, warum auch immer, einen roten Kopf und ruderte verbal zurück.

Für mich mal wieder ein Zeichen, dass Alter ein Thema ist – generationsübergreifend. Wahrscheinlich trete ich jetzt den Vergleich mit den Müttern an, von denen vielleicht auch die eine oder andere Teesocke dabei ist. Wer sieht noch wie jung aus, wer hat den noch fitteren Körper, wer ist vielleicht cooler…?

So schätzen viele in meinem Umfeld meinen Ideenreichtum, meine Gelassenheit und Erfahrung und sogar meinen Geschmack. Diese Fähigkeiten werden auch gerne und häufig genutzt. Viele sehen natürlich auch, dass die Intensität meines Arbeitens viel Kraft kostet und ich inzwischen am Ende eines Tages echt platt bin, sicher mehr als früher. Die Kraft ist nicht mehr die Gleiche, schade eigentlich.

Ich denke viel darüber nach, was mir im Leben wirklich wichtig ist – ein faltenfreies, junges Aussehen hat es in meiner Prioritätenliste nicht weit nach oben geschafft. Eine „coole Alte“ zu werden, das ist mein Ziel. Eine zu werden/zu bleiben die neugierig ist, die lernen liebt, die offen ist für Begegnungen, die immer ein bisschen Pippi Langstrumpf bleibt, die sich die Welt macht, wie es ihr gefällt. Also eine Freude in sich trägt, sich immer wieder neu zu erfinden. Flanieren hilft dabei ungemein!!!

Wenn man mir in einer Parfümerie mal wieder ein supereffektives, arschteures Serum verkaufen will… gegen die …hüstel...“Mundfältchen“… grins…, dann lehne ich lächelnd ab. Schönheit, die von innen kommt, der lässt sich doch von außen kaum etwas entgegensetzen.


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