Paradiesvögel

Foto von Gunther Martin

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Es gibt Orte, die eignen sich phantastisch zum Flanieren im Sitzen – einfach im Café, an der Promenade oder bei Gosch auf Sylt sein und den Strom von Menschen vorbeirauschen sehen. Grundsätzlich betreibe ich sehr gerne meine Phantasiestudien und stelle mir vor, wie dieser oder jene wohl ist… Familie, Beruf, Wohnung… darin kann ich genussvoll versinken. Genaugenommen reicht mir dazu schon der heimische Supermarkt und die Einkaufswagen.

Aber es gibt diese herrliche Orte, die Paradiesvögel anziehen. Paradiesvögel sind für mich auffällige Menschen, die sich zunächst mal durch auffällige Kleidung absetzen, aber meine These ist, dass es nicht nur die Kleidung ist, die sie differenziert. Es gibt also diese Orte, in denen überdurchschnittlich viele auffällige Menschen durch die Gassen ziehen und das Bild bunter machen.

Ich mag das. Ich mag diese Individualität und ich mag oft auch den Mut. Ja, den braucht es aus meiner bescheidenen Perspektive heraus wirklich. Vor allem bei älteren und alten Menschen bewundere ich den Mut, einen auffälligen oder gar exzentrischen Stil zu wählen. Vor meinem geistigen Auge taucht ein Paar auf, das es irgendwie fest in meine Erinnerung geschafft hat. Beide locker jenseits der 70, sie in komplett schwarz mit knallbunten Drüber-Shorts im Winter, er mit Zopf und perfekt zu ihr passend, lässig, etwas verrückt. Die beiden fielen mir total positiv auf, energetisch, zufrieden mit sich.

Ich finde es toll, wenn Ältere den Mut oder die Liebe zur Farbe und Sichtbarkeit behalten. Dass sich in unserer heutigen Zeit ganze Großgruppen von Rentnern in farbenfrohes Beige hüllen, das kann ich nicht verstehen. Graubeige Blousons und Windjacken soweit das Auge reicht, so habe ich es mehr als einmal erlebt, wenn sich an einem schönen Ort eine Aida leert. Farbenfrohes Portofino, ebenso Porto Cervo wurden von uniformtragenden Rentnern geflutet. Das klingt nicht nett, ich weiß, aber so habe ich es empfunden. Und es sagt natürlich nichts über die vielfältigen, sympathischen Persönlichkeiten der Blousonträger aus. Nach außen zeigen sie jedoch wenig davon. Ich tue vielen sicher Unrecht mit dieser Beobachtung. Auch denjenigen, die Camel und Beige für die elegantesten Farben halten (so wie ich übrigens auch).

Wenn ich jedoch auf meinem Beobachtungsposten sitze und Menschen vorbeiflanieren sehe, dann sind es vor allem die Paradiesvögel, die lebendiger und glücklicher erscheinen.

Wahrscheinlich komme ich jetzt langsam in das Alter, in dem Uniformität und Dezenz eher ungünstig werden. Äußerlichkeiten sind wahrhaftig nicht alles, aber sie sind die Hülle in der Welt. Nur wer gesehen wird, kann doch Resonanz erfahren. Die Sichtbarkeit nimmt ohnehin mit steigendem Alter ab. Das kann ich (meist) ganz gelassen hinnehmen. Aber ich werde meine Farbtupfer in Zukunft noch stärker zum Einsatz bringen und weiterhin danach Ausschau halten. Coole Alte tragen Farbe und Leder – also!


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