Himmel und Erde

Foto von Gunther Martin

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Meine Omi war für mich immer eine wichtige Person. Ich habe als Kind viel Zeit mit ihr verbracht und sie steht mir heute noch nahe. Ich habe wohl einiges von ihr geerbt, die vollen Haare und strammen Beinchen, die uns aber warm um den Kopf und gut durchs Leben tragen. „Großeltern geben nicht nur ihre Erfahrungen weiter, sondern auch Ansichten, Bräuche und Marotten“, so habe ich es in der ZEIT gelesen – und ich glaube, besser kann ich es nicht in eigenen Worten beschreiben. Omi hat Zitate geprägt, die bleiben ewig lebendig in meiner Familie.

Meine Omi war eine starke Frau, sie hatte auch keine andere Chance. Teilte sie das Schicksal einer Frauengeneration, die zwei Kriege erlebt und liebe Menschen verloren haben. Ich kannte sie nur als willensstarke, zupackende Frau, die stets „ihren Mann“ stand. Die traumatisierenden Erfahrungen hat sie wenig mit uns geteilt, wohl aber ihre Erkenntnis, dass es immer weitergeht.

Meine Omi war die absolute Meisterin der Suppenküche. Sicher auch, weil Reste nicht köstlicher gekocht werden können, und Reste wurden grundsätzlich restlos verarbeitet. Bis ins hohe Alter rannte sie (ja, gehen war das sicher nicht) jeden Tag auf einen Wochenmarkt, um Frisches einzukaufen und daraus sehr oft eine köstliche Suppe zu zaubern. Im Discounter hat sie höchstens mal Toilettenpapier gekauft, Essen sollte stets in besserer Qualität sein. Diese Überzeugung und Konsequenz zog sie durch, so lange es ging. Da hielt sie es eher mit den Italienern, die ja auch bereit sind, einen deutlich höheren Anteil ihres Verdienstes für Lebensmittel auszugeben. Denn als alleinerziehende Mutter nach dem Krieg, als Schneiderin, da musste sie die Taler schon gut beisammenhalten.

Saisonal, regional – davon war meine Omi früher schon überzeugt. Da gab es im Winter keine Beeren, dafür aber in der Saison täglich. „Himmel und Erde“ war (angeblich) ihre absolute Leibspeise, Birne mit Kartoffeln. Ob sie das wirklich mochte, oder es eine gute Art war, geschenkte Birnen aus irgendeinem Schrebergarten zu verarbeiten, ich weiß es nicht. Sie behauptete es jedenfalls. Für mich war es eine unerträgliche, geschmacklose Pampe. Ich habe es so wenig gemocht, dass ich diesem Gericht keine kulinarische Erwachsenen-Chance gegeben habe. Aber es gab auch Suppen, die durch kein exklusives Menü getoppt werden konnten. Omis Markklösschensuppe und Gemüseeintopf standen immer hoch im Kurs bei mir.

Als Omis Schwiegerenkel in ihrer Stadt studierte, bildeten die beiden eine Suppengemeinschaft. Sie hatte meinen Freund sehr viel früher als Enkel adoptiert, als ich ihn heiratete (sie hatte halt dieses untrügliche Gespür für Qualität :-)). Mindestens einmal die Woche verabredeten sich die beiden um 12:00 Uhr zum gemeinsamen Suppenverzehr. Wehe dem, wenn es mal zwei Minuten Verspätung gab, da konnte der Haussegen deutlich schief hängen, bzw. die Suppe sauer werden. Ich war ziemlich neidisch auf dieses Arrangement, war aber derzeit in einer anderen Stadt.

Wenn ich an all diese kleinen Episoden denke, dann fühle ich mich immer noch mit meiner Omi verbunden. Heute wäre sie 110, doppelt so alt wie ich heute. Meine Suppenqualitäten sind schon nicht ganz schlecht, aber ich messe mich halt an der Meisterin und da gibt es noch Raum nach oben.

Für mich haben Suppen eine fast therapeutische Wirkung: Schnupfen – scharfe Hühnersuppe, Erschöpfung oder Traurigkeit – köstliche Kartoffelsuppe, Hitzequal – kalte Gurkensuppe… Für jede Lebenssituation gibt es passende Suppen. Vielleicht verfasse ich doch noch mal so ein Kochbuch? In der Tat habe ich gelesen, dass Suppe löffeln Stress reduziert. Auch wenn ich das bisher nicht gewusst habe, so scheint es mir logisch und gespürt habe ich es natürlich sowieso: Suppe tut der Seele gut und hält den Körper warm und gesund. Bald ist wieder Samstag, Zeit für einen Marktbesuch.

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