Besitzbewusstsein

Foto von Gunther Martin

Foto von Gunther Martin

Neulich hat mein Lieblingsmensch alle seine Schuhe geputzt und freute sich an der schönen und hochwertigen Reihe. Immer, wenn ich so eine vollständige Ansammlung von sortenreinem Irgendetwas sehe, finde ich das toll. Fördert es doch das „Besitzbewusstsein“. Diesen schönen Begriff habe ich im Buch „Alles, was ich habe“ gelesen.

Im Laufe der Jahre sammelt sich ganz schön was an, und mit der luxuriösen Situation eines Kellers ist da stets eine lauernde Verführung, etwas doch noch erstmal ins Regal zu stellen. So stehen da zwei Partysalatschalen neben drei Kuchenplatten (obwohl ich nie, nie, nie backe oder Kuchen esse) und vier Auflaufformen. Fünf alte Tupperschalen neben sechs Glaskaraffen – alles noch in Ordnung, aber alles nötig???

Im letzten Sommer bin ich in „meinem“ Lago geschwommen. In diesem herrlichen, glasklaren Wasser hatte ich plötzlich eine Inspiration, besser gesagt das drängende Bedürfnis, eine solche glasklare Klarheit in meinem Besitz zu schaffen. Ich habe immer wieder so Momente, an denen gilt: Jetzt sofort! Und nichts hält mich auf. Mir war sehr schnell klar, dass ich es dieses Mal anders machen wollte als in der Vergangenheit. So hatte ich natürlich immer wieder total aufgeräumt und entrümpelt. Dieses Mal plante ich ein Jahresprojekt daraus zu machen. Auch dafür hatte ich mich fremd-inspirieren lassen. Über Meike Winnemuth hatte ich gelesen, dass sie immer wieder interessante Selbstversuche macht, so z. B. auch ihr Projekt, ein Jahr das gleiche (nicht dasselbe) Kleid zu tragen. Was mich hier nun aber ansprach, war das Angehen, jeden Tag etwas vom eigenen Besitz zu reduzieren, ein ganzes Jahr lang. Das wollte ich machen. Sozusagen einen achtsamen Prozess der Ausprägung meines Besitzbewusstseins und Besitzreduzierung: Verschenken, verkaufen, entsorgen, wobei mein Fokus vor allem auf den ersten beiden Kategorien liegen sollte.

Neun Monate bin ich jetzt schon dabei und kann bereits jetzt sagen, dass es ein großartiges Projekt ist. Nicht nur viel mehr Luft und Übersicht im Haus, sondern auch Freundinnen und Ebay´er erfreut. Ich pflege sogar eine Tabelle, in der ich alles vermerke – sehr motivierend. Dafür könnte ja mal jemand eine App andenken.

Ich gehe dabei nicht planvoll vor, also Raum für Raum, das wäre mir zu langweilig. Ich entscheide täglich, wo meine Freude mich hinführt. So war es vor einigen Wochen ein kleines Schubladenelement, in dem ich meinen Schmuck aufbewahre. Nachdem ich alles in Augenschein genommen und in meinen üblichen Kategorien sortiert hatte, blieb da ein ganz schönes Häufchen Altgold über – von der gerissenen Kinderkette mit Sternzeichen drauf, bis zu altmodisch gewordenen Ringen und Armbändern… alles, was so in Schubladen liegt, weil es kein Heu frisst. Ich beschloss, dieses alte Gold zu einer Goldschmiedin zu bringen, um mir einen besonderen Ring daraus machen zu lassen. Eigene Entwurfsidee für das Design, aus alt mach neu – auch ein schöner Nachhaltigkeitsansatz.

Was sich neben viel mehr leerem Platz auch einstellt, ist dieses echte, wohltuende Gefühl: Einerseits ein genauer Überblick über meinen Besitz, über schöne und mir wertvolle Dinge, andererseits ein wachsendes Erkennen über „zu viel“ oder „genau richtig“. Lagom ist wohl das schwedische Wort dafür, habe ich gelesen. Genau richtig, so soll es sein, genau richtig ist ein sehr anstrebenswerter Zustand. Nicht nur in Menge, sondern auch in Auswahl – Quantität und Qualität. Jedes Stück muss genau durch diesen Filter: Bist du „lagom“? Sollst du weiter ein geschätztes Teil in meinem Leben sein?

Ob in meinem Kleiderschrank oder in der Schälchenschublade; jedes Teil muss mir gefallen, gut passen und mit einem inneren JA wieder einsortiert werden. Keine Bluse, die noch okay ist, keine Tasse, keine Tasche, kein Kerzenständer. Gar nichts…

Ich glaube zu spüren, dass diese sich ausbreitende Ordnung, sich nicht nur in meinem Außen auswirkt, sondern auch in meinem Innen. Da scheint eine neue Energiequelle zu entstehen… ich werde das aufmerksam beobachten. Noch ist das Jahr nicht mal halb vorbei und es gibt noch viel zu kramen, zu verschenken, zu verkaufen… noch viele Teile werden den Besitzer wechseln.

Als Liebhaberin des Schönen habe ich natürlich schon wieder Pläne: Die Weiterverschönerung eines Raumes. Am Ende wird er richtig „lagom“ sein. Eine schöne Mischung von alt und neu, aus edel und individuell. Kein Teil zu viel, kein Teil da, nur, weil es da ist. Schönheit und Seele. Genau richtig.

Previous
Previous

Trotzdem zufrieden - obwohl… Muskelkater

Next
Next

Konfetti!!!