Trotzdem zufrieden - obwohl… Muskelkater

Foto von Gunther Martin

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Was ist Zufriedenheit und was unterscheidet sie vom Glück? Glück ist doch ein Phänomen, dass derzeit ganze Bücherregale füllt, weil viele sich so sehr danach sehnen, auf der Suche danach sind. Ich habe gelesen, dass Zufriedenheit und Glück in zwei unterschiedlichen neurobiologischen Systemen verarbeitet werden. Danach sei Zufriedenheit eine Lebenshaltung. „Zufrieden ist, wer über ein gutes Stressmanagement verfügt und über die Fähigkeit, sich selbst zu beruhigen“, so Gerhard Roth im Spiegel. Unzufriedene Menschen, so sagt er, seien diejenigen, die stärker auf der Suche nach Glücksmomenten sind.

Wenn ich in meine Vergangenheit schaue, dann glaube ich sagen zu können, dass Zufriedenheit gut in mir angelegt ist. Da gab es zwar diesen Parka, mit der Brusttasche für die Haarbürste, den ich nie bekam, aber ansonsten habe ich mich immer als ziemlich privilegiert empfunden. Nicht verwöhnt, meine Eltern waren nicht wirklich wohlhabend. Aber es ging uns immer gut, das war unser Familienmindset. Alles, was wichtig war, war immer da: Musik, Sport, Bildung, Urlaub in Maßen und ordentliche Kleidung (deswegen ja auch kein Parka :-)).

An einer kleinen Geschichte lässt sich der Pragmatismus meiner Mutter verdeutlichen, die sehr klare Vorgehensweisen hatte sicherzustellen, dass eben immer alles da war, was wichtig ist. Ich wurde konfirmiert und unser Pastor gab einen Dresscode vor: Schwarzer Rock, weiße Bluse. Alle meine mitzukonfirmierenden Freundinnen gingen mit ihren Müttern einkaufen, um eine solche, vorgeschriebene Konfirmationsbekleidung zu erwerben. Ich nicht. Meine Mutter, ohnehin eine Gegnerin von Uniformen, fand es total albern, für 60 Minuten etwas einzukaufen, das ich danach nie wieder anziehen würde (womit sie allerdings Recht hatte). Meine Omi änderte mir irgendwelche schlimmen Sachen meiner Mutter, die so schlimm waren, dass sie sie selbst nicht trug, die aber dem Wunsch des Pastors nach angemessener Mädchenkleidung entsprachen. Ich war furchtbar enttäuscht.

Stattdessen bekam ich ein Kleid für „danach“. Dieses Kleid hatte, ich weiß es noch ganz genau, kleine, weiße Gänseblümchen auf dunkelblau. Ich trug es mindestens 10 Jahre, würde es noch heute tragen, wenn es nicht irgendwann zerliebt und zerfallen wäre. Die Botschaft meiner Mutter war stets: Wir machen keinen Quatsch. Punkt!

Beide „Kleidungstraumata“ und die dazugehörigen Kleidungsstücke zeigen wunderbar den Unterschied zwischen Glück und Zufriedenheit auf. Mich hätte der Parka, oder auch das brave schwarz-weiße-Spießer-Teilchen glücklich gemacht. War es doch das, was ich mir gewünscht hatte. Stattdessen wurde mein Zufriedenheitsmuskel trainiert.

Heute kann ich eine große Freude und Zufriedenheit aus mir heraus empfinden: Bei dem, was ich tue, was ich arbeite, an schönen Gesprächen, guter Musik, was ich lerne, an gutem Essen und Trinken, an meinem Beitrag zur Zukunft meiner Firma. Und am Schreiben, das macht mich wirklich sehr zufrieden. Und auch das ist für mich gutes Leben.

Ich habe noch nie Lotto gespielt, ich habe auch nie einen 6´er gewinnen wollen, hätte ich nie gewusst, wofür. Wie es ist, ist es gut. Nicht nur heute, sondern schon immer. Als Berufsanfängerin habe ich mich wohlhabend gefühlt (was faktisch nicht den Tatsachen entsprach) und später, als 40jährige gesegnet, weil wir unser Villa-Kunterbunt-Dorfreihenhaus gegen eines mitten in der Stadt tauschen konnten. Ich war eigentlich immer zufrieden mit dem, was mir das Leben bot. Ich bin zuversichtlich, dass das auch so bleibt – so im Schnitt zumindest. Ich habe das Vertrauen und die Haltung, dass ich mit Vielem umgehen kann… und umgehen werde.

Der Muskel ist derzeit im Dauertraining… und hat manchmal etwas Muskelkater. Aber das soll ja durchaus gesund sein.

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