Fragil

Foto von Gunther Martin

Foto von Gunther Martin

Es ist Ende März, das Wetter ist so lala, Meine Stimmung auch… bestenfalls lala. Würde mich jemand fragen, wie es mir geht, würde ich natürlich antworten: ganz gut. Ganz gut, weil auch ja eigentlich nichts zu klagen hätte. Mit festem Job und schönem zu Hause… geht es mir ja gut. Besser als vielen anderen. Und ich würde auch sagen, dass ich dafür natürlich auch dankbar bin – weil es mir doch gut geht und ich könnte viele Beispiele aufzählen, warum das so ist. Das wäre auch alles wahr, denn ich bin dankbar. Wirklich. Aber: Es ist fragil.

Aber da ist noch mehr. Da sind sie eben, diese vielen kleinen Verluste. So hatte ich es gerade in der New York Times gelesen… und Bäm… genau das ist es. Keiner für sich isoliert betrachtet eine Katastrophe, nicht mal wirklich schlimm, sogar akzeptabel. Aber in Summe eben doch viel. Viele kleine Verluste addieren sich auch auf: Fehlende Kultur, fehlende Treffen mit Freundinnen im Lieblingscafé, fehlende Restaurantbesuche, fehlende Reisen, fehlende Wanderungen oder Radtouren mit Einkehrschwung, der fehlende Schnack auf dem Markt in der Schlange bei dem Allgäuer Superkäse.

Letzteres ginge ja fast, der systemrelevante Marktbesuch ist ja möglich, aber mein letztes Erlebnis auf unserem schönen Donnerstagsnachmittagsmarkt war einfach furchtbar. Verhuschte, sich gegenseitig ausweichende Menschen, einige, die stolz ihre Maskenbefreiung zeigten und damit allerhand Zorn auf sich zogen, völlig überforderte alte Menschen, die mit Maske noch weniger Überblick hatten… Als ich zu Hause war merkte ich erst, wie angespannt ich war. Der geliebte Donnerstagsnachmittagsmarkt ist also auch so ein kleiner Verlust. Natürlich verschmerzbar, aber ein weiteres Steinchen auf dem „kleine-Verluste-Turm“.

Mir ist klar, dass es mir nicht nur wirtschaftlich gut geht, sondern dass ich auch liebe Menschen um mich habe und mich um sie kümmern kann. Ich habe Singlefreunde, die einsam sind, ich habe Freundinnen, den läuft die Zeit davon, weil demente Eltern im Heim einfach keine Zeit mehr haben. Bei all diesen Freunden kommen zu den kleinen Verlusten noch die großen hinzu. Das weiß ich und mein ganzes Mitgefühl ist bei ihnen.

Manchmal ist es aber auch gut, ehrlich mit sich zu sein. Viele kleine Verluste, in Verbindung mit dieser Zoom-Fatigue, sind einfach anstrengend, machen müde und manchmal auch lala-Stimmung. Es ist wohl eine neue Erkenntnis für mich, dass auch diese Ehrlichkeit mit mir selber, ein Teil des guten Lebens sein muss.  Das eigene innere Dunkel – oder nenne ich es besser Dämmerung – auch sehen zu können und nicht zu verdrängen. Die vielen kleinen Verluste betreffen ja ganz wesentlich das „schöne Leben“. Es fehlt einfach ein Teil der wertgeschätzten Lebensqualität, das Lebenssahnehäubchen. Klar geht es ohne, aber schöner ist es halt damit. Ich glaube, dass es vielen so geht und dieses „mir geht es ganz gut“ nur so dahergeredet ist.

Wie bei vielen anderen, so haben auch wie schöne Projekte realisiert, solche derart, für die Zeit sein musste. Gerade steht mein Lieblingsmensch auf der Leiter und tapeziert eine Wand mit einer unfassbar schönen Tapete, einer zum Niederknien. Mein ästhetisches Ich jubelt… ja, die vielen kleinen Verluste haben auch ein Gegenstück: kleine Gewinne.

Diese komische Zeit ist hoffentlich auf der Ziellinie… Die Sonne kommt, macht alles wieder hell und wärmt auch nach innen.

 

Previous
Previous

Herzen gewinnen

Next
Next

Trotzdem zufrieden - obwohl… Muskelkater