Herzen gewinnen

Foto von Gunther Martin

Foto von Gunther Martin

Ich bin ein Obamafan – ob Barack oder Michelle, ganz gleich – ich finde beide großartig, obwohl ich sie nur aus der Ferne und aus ihren Büchern kenne. Beide haben mein Herz gewonnen.

Ich weiß, dass ich mich leicht und auch gerne auf Menschen einlasse. Ich glaube, ich kann sagen: Ich lasse mich gerne gewinnen. Gerade erst bekam ich ich einen Brief einer mir bis dahin unbekannten Frau, mit herzlichen Zeilen und einem „Blumengruß“. So ungewöhnlich und gerade deswegen so gewinnend.

Inzwischen wird es auch im Business für wichtig erachtet, nicht nur den Verstand der Menschen, sondern auch deren Herzen zu erreichen. Für die deutsche Ingenieurskultur ein fast revolutionärer Ansatz. Ich finde es toll, dass damit ein anderes Menschenbild Einzug hält, nämliches eines, das endlich anerkennt, dass Menschen mehr sind als Kopf und Hände. Es ist doch noch gar nicht so lange her, dass es Führungskräfte gab, die forderten: Du bist zum Arbeiten hier, nicht zum Denken. So stehen also viele vor der Frage: Wie also gewinnt man die Herzen der Anderen?

„Leadership bedeutet, andere zum Helden zu machen“, dieses Zitat lief mir gerade erst über den Weg, zwar in einem ganz anderen Zusammenhang, aber ich finde, dass ein ganz großartiger Kern darin steckt. Wenn es mir als Leader gelingt, dass sich „meine“ Menschen als Helden fühlen können, dann ist viel geschafft. Wenn ich die Menschen in meinem Umfeld so behandele, dass sie gerne das von sich zeigen und geben, was sie ganz besonders macht, dann ist es doch das Beste, was entstehen kann.

Ein von mir sehr geschätzter Kollege merkte neulich an, dass es dafür auch gelingen müsse, zu sehen und zu wertschätzen, was an Alltäglichem geleistet wird. Also das ganz normale Brot-und-Butter-Geschäft, wo die erbrachte „Leistung“ nicht wirklich aufsehenerregend ist. Da wo Kisten gestapelt, an Kassen gesessen, oder Müll abgeholt wird. Wo legen wir also unseren Helden-Maßstab an? Darf sich jeder mit seinem Job als geschätztes Mitglied eines Teams, einer Gemeinschaft fühlen, oder nicht? Und das nicht nur bei blumigen Feiertagsansprachen, sondern im gelebten Alltäglichen. Wirkliche Wertschätzung gewinnt Herzen, davon bin ich fest überzeugt. Es lohnt sich, sich selbst dahingehend zu überprüfen, in wieweit diese Wertschätzung ehrlich ist. Auch damit kann Obama immer wieder punkten, dass er Menschen herzlich begegnet... und herzlich ist hier der Kern. Herzlich ist nicht so zu tun, also ob... herzlich ist echt und erzeugt Gegenseitigkeit.

Eine weitere, ganz wichtige Facette des Herzen-gewinnens ist natürlich auch das gesprochene Wort. Auch das kann gewinnen und berühren. Darin ist Obama für mich ein wahrer Meister. Es gelingt ihm, seinen Intellekt mit seiner Emotionalität zu verbinden, man könnte es auch nennen: ein Erzeugen eines Einklangs von Herz und Hirn. Genau das ist es, Einklang von Herz und Hirn. Das wirkt, so empfinde ich es bei ihm, nicht antrainiert und dadurch echt. Dabei ist Barack Obama keine extrovertierte Rampensau, sondern eher das Gegenteil. Ich musste sehr darüber schmunzeln, dass er offenbar überall kleine Höhlen baut, in denen er sich zurückziehen kann, um dicke gelbe Schreibblocks vollzuschreiben. Ach, wie ich dieses Bedürfnis kenne...

Neulich erst durfte ich jemanden erleben, einen Mensch mit brillantem Geist, der sich auf den Weg gemacht hatte, seine eigene Leadershipstory zu ergründen und dann mit uns zu teilen. Ein starker Moment. Also mein Herz hatte dieser Mensch definitiv gewonnen. Ich schaue ihn jetzt wirklich mit größerem Interesse und viel mehr Sympathie an.

Ich glaube, es ist das Erleben, dieses „Mensch-sein-Moments“, der mich gewinnt. Es ist nicht die Wahl der Worte. Es ist die Magie der völligen Kongruenz von Ratio und Emotionalität, die so speziell ist. Da ist jemand echt da, präsent im Hier und Jetzt, bei sich und beim Gegenüber. Das leuchtet richtig. Es braucht glaub ich etwas Mut, sich damit zu zeigen. Aber es lohnt sich. Der Weg zum Anderen beginnt bei jedem selbst. Dazu müssen wir bereit sein, wirklich in uns hineinzuschauen, denn im Innen liegt das Gold.

Herzen gewinnen hat für mich zwei Perspektiven: Andere sehen und sich selber zeigen. Beides basiert auf Echtheit. Ich glaube, dafür hat jeder Mensch einen feinen Sensor. Echt oder Fake?

Klatschen die Leute auf den Balkonen, weil sie Kassiererinnen wirklich wertschätzen, oder ging es eher darum, und das ist dann irgendwie krass, sich selbst zu feiern?!

Die erste Merkel-Coronakrisen-Ansprache, die hatte etwas. Ich erinnere nicht, dass je eine Rede von ihr zuvor so gelobt wurde. Da war mehr, als nur die von ihr gesprochenen Worte. Da war etwas, jenseits des Textes... etwas Echtes: Sorge, Verantwortung und Demut. Da war eine Frau, die um Vertrauen warb...

Echtheit gewinnt Herzen. Ich habe es erlebt und meine Entscheidung, mich gewinnen zu lassen, war ganz maßgeblich eine Herzenssache. Niemand kann es erzwingen. Aber sie erst führt zu der Bereitschaft, auch steinige Wege mitzugehen. Wer richtig was rocken will, so richtig, richtig, braucht diese verschworene Gemeinschaft gewonnener Herzen.


Previous
Previous

Lernen durch Verlust

Next
Next

Fragil