Der Bergdoktor

Foto von Gunther Martin

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Ich sollte ich mich schämen… ein bisschen jedenfalls …, aber ich wage es dennoch, mich hier zu outen: Ich schaue gerne „der Bergdoktor“ (oder Ähnliches, dieses „Heile-Welt-Genres“)! Nun ist es raus! Du grinst? Ich auch. Es ist wirklich peinlich und auch ein wenig verwerflich, wertvolle Lebenszeit mit so einem flachen Zeugs zu verbringen.

Ich habe mich schon oft gefragt, was mir am Bergdoktor so gefällt, was mich immer wieder genüsslich in die Sofaecke treibt, um diese Herz-Schmerz-Geschichten anzusehen. Die vorhersehbaren Geschichten sind es nicht. Auch nicht die zweifelslos schönen Landschaften. Hier stört mich die übertriebene Schönheit eher, mit der völlig überzogenen Farbgebung. So leuchtend grüne Wiesen gibt es nicht, würden sie uns auf Dauer blind oder die Kühe lila machen. Es sind auch nicht die schönen Menschen und großen Gefühle, die mir gefallen. Es ist etwas Anderes und hat, so glaube ich, eigentlich ganz wenig mit dem Bergdoktor zu tun.

Ich gebe zu, dass es die V-e-r-s-c-h-w-e-n-d-u-n-g   ist, die ich daran mag.

Verschwendung ist ja schon ein fast moralisches Wort, eher negativ belegt. Etwas, das es absolut zu vermeiden gilt. Ein absolutes no-go in Unternehmen, dort muss alles optimiert, alles schlank, alles sparsam sein. Inzwischen ist es genauso in anderen Lebensbereichen. Energie, Plastik, Zeugs – bitte keine Verschwendung. Spätestens Greta Thunberg und ihre FFF-Bewegung haben ein großes Umdenken in Gang gebracht und Verschwendung hat eine neue Bedeutung bekommen. Hier gibt es ganz klares Gut und Böse.

Aber, es ist klar, es muss auch ein Aber geben… Denn ich mag sie auch, die Verschwendung. Ich brauche sie auch, die Verschwendung. Ich möchte weiterhin großzügig sein. Ich mag auch weiterhin immer mal wieder mehr im Kühlschrank haben, also Auswahl, als ich wirklich zum sattwerden brauche. Zu viele Schnittblumen, die Bienen nicht mehr dienen, das ist Verschwendung. Mehr Kochbücher, als ich jemals durchkochen kann, das ist auch Verschwendung. All diese Verschwendung hat mit schöner Fülle zu tun, mit Fülle des Lebens, mit Lebensqualität, mit Genuss. Das ist doch wichtig für ein gutes Leben!?

Ein gutes Leben… Was ist denn ein gutes Leben? Für mich hat es sehr viel mit der Ausgewogenheit von Geben und Nehmen zum tun – in allen Lebensbereichen. Lebe ich so, dass es ausgeglichen ist? In meinen Beziehungen, in meinem Job, als Bürgerin, mit mir und meinem Körper-Seele-Geist?

Jeder kann und muss hier selber entscheiden, über das Niveau, über die eigenen Prioritäten, lieber sparsam, lieber Fülle (und alles was dazwischenliegt). Es ist Freiheit, das entscheiden zu können, jeder macht seine eigene Rechnung auf, das ist Luxus und das fühlt sich gut an.

Ich gönne mir offenbar den Luxus und nehme mir die Freiheit mich immer mal wieder für die Vergeudung, auch von Lebenszeit zu entscheiden. Für mich ist es, unproduktiv und auch faul zu sein. Ich entscheide mich dann dafür, meine wertvollste Ressource -  meine Zeit -  sinnlos zu verplempern. 90 Minuten Bergdoktor, nichts Wichtiges schaffen, nichts Schlaues denken, nichts Wertvolles lesen. Ein bisschen Gehirnerweichung, einfach mal verschwenderisch sein.

Ich mache genau das, immer wieder, doch, wenn ich ehrlich bin, fällt mir das gar nicht so ganz leicht: Wirklich die Entscheidung zu treffen… wirklich wertvolle to-do-Zeit sinnlos verbringen. Doch ich könnte es ja auch sportlich betrachten: Ein Training ist nur dann effektiv, wenn Anspannung und Entspannung im richtigen Masse aufeinanderfolgen. Mein Hirn braucht vielleicht, rein sportlich gesehen, hin und wieder etwas Erweichung, damit es danach wieder voll auf Touren kommt?

Oh ha. Ich schreibe über Verschwendung und das Gute darin. Es fällt mir aber offenbar schwer, mir das wirklich zuzugestehen. Ich verschwende nicht, ich investiere…, weil ich es ja sportlich betrachte…  Es ist doch interessant, was mir immer wieder mal so begegnet, beim gedanklichen Umherschlendern.

Verschwendung enthält auch Wendung, und Wendung ist Bewegung. Nur was sich bewegt, kann sich verändern. … und Veränderung beginnt meist mit einer Reflexion:

Wenn die eigene Freiheit da endet, wo die Freiheit eines Anderen begrenzt wird, dann ist meine Freiheit zu diesem Thema tatsächlich sehr groß. Wenn ein gutes Leben auch durch Geben und Nehmen bestimmt wird… Ich werde nachdenken müssen… darüber, welche Freiheit ich mir zugestehe… Mein Verantwortungsbewusstsein wird schon aufpassen, dass ich nicht übertreibe. Auf den Dialog dieser beiden in nächster Zeit bin ich noch gespannt. Ich werde gut zuhören.

Nun sage jemand, der Bergdoktor sei flach…

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