Führungsdialog

Foto von Gunther Martin

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Es ist Januar, heute ist es regnerisch, grau und knopflochkalt. Ein herrlicher Tag zum Einkuscheln, Teetrinken, Schreiben und Lesen. Mit der heißen Kanne und dem Bücherstapel neben mir, in eine Decke gewickelt fange ich an …. zu träumen… vom Garten… der Blick geht nach innen … vor meinem inneren Auge taucht der Junigarten auf: Felder von Fingerhüten, Rosen, Mohn, Bartnelken und Akeleien… Ein im Wind wogendes Blütenmeer in zarten Farben. Ich habe den Blütenduft in der Nase, das Bienengesumm im Ohr und spüre die feuchte Erde an den Fingern…

Gärtnern ist wie Malen auf einer vorgearbeiteten Leinwand. Es ist schon etwas da und daraus soll etwas Neues werden. Egal, ob eine Neuanlage oder ein bereits bestehender Garten. Irgendwas ist immer schon da, ein Umfeld, oder anders gesagt ein Kontext. Seien es die Licht- oder Bodenverhältnisse, das vorherrschende Unkraut, oder die Nachbarschaft. Jeder Schrebergärtner kennt sicher die umfangreichen Regeln, die es zu beachten gilt: Die Anzahl an Bäumen, Erdbeeren - und Kartoffelpflanzen sind genauso festgeschrieben, wie die Höhe der Hecke. Ordnung muss sein, wo kämen wir denn hin…?

Gärtnern kann ein toller und anspruchsvoller, geradezu schöpferischer Prozess sein. „Man kommt nie zweimal in den gleichen Garten“. Das Gegenteil von Vorhersehbarkeit und Langeweile. Garten ist Leben, gärtnern ist Dialog. Wie bei jedem guten Veränderungsprozess gilt es Geduld zu haben und damit zu starten, erstmal nichts zu tun. Erstmal genau hinschauen, hinfühlen, um wertzuschätzen, was da ist. Denn es gilt das zu bewahren, was gut ist – erst dann achtsam einzugreifen. Plattmachen kann jeder. Pläne machen, auch. Nicht zu zerstören, sondern zu verändern, zum Guten, zum Besseren, das ist die Kunst. Ein Gärtner kann dem Garten nur begrenzt seinen Willen aufzwingen. Er greift in einen lebenden Organismus ein und der Garten wird es zeigen, ob er es gut gemacht hat, oder nicht.

Ich lasse die Gedanken weiter schweifen und frage mich gerade, wie es wäre, wenn mehr Beziehungen auf diese Weise gelebt würden – gärtnerisch: Wertschätzen, was gut ist und das auch zu bewahren? Zeit nehmen, hinschauen, hinfühlen. Achtsam eingreifen. Wie wäre es, wenn mehr Menschen in dieser gärtnerischen Weise in und auf ihre Organisationen schauen würden? Es wäre aus einer Haltung von gedeihen lassen. Vielleicht würden sie erkennen, dass aus einem Waldstück kein japanischer Zengarten, aus einem Esel kein Rennpferd, oder dass aus einem Produktionsbetrieb keine Software Bude werden kann. Der Kontext ist zwar änderbar, aber nur in Grenzen. Allem noch-so-Wollen setzt die Natur Grenzen.

Wie schön wäre es, wenn noch mehr Menschen Freude am echten Gärtnern hätten. Gärtnern ist Sinnlichkeit, Gärtnern ist Kontakt mit der Natur, Gärtnern ist Geben und Nehmen, Gärtnern ist das Schaffen von Schönheit. In welchen Lebensbereichen dürfen wir uns so schöpferisch fühlen?  Wenn wir unsere Gärten gut beobachten und ihnen „zuhören“, dann können wir so viel lernen: Was passt zueinander? Welcher Pflanze gilt es etwas mehr Einhalt zu gebieten, welche darf sich hemmungslos ausbreiten? Welche Pflanze steht gerne im Licht, welche braucht zunächst noch ein stützendes Stöckchen? Schließlich kommt es auf die Gesamtkomposition an. Und ob es am Ende eine harmonische Symphonie oder eine kreative Jamsession ist, egal. Schönheit entsteht im Auge des Betrachters.

Es ist Januar und ich weiß, dass ich Geduld haben muss. Nichts leichter als das…, lieber würde ich etwas drängeln, damit es schneller geht. Vom Garten habe ich viel gelernt in den Jahren, danke dafür.  „Man geht nie zweimal in den gleichen Garten“, in zwei Wochen ist alles schon wieder ganz anders.

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