Ligurisches Dessert

Von Originalfoto inspirierte Illustration - von Marlene Schäfer

Von Originalfoto inspirierte Illustration - von Marlene Schäfer

Es war einmal in Ligurien zur Winterzeit. Die im Sommer rappelvollen Ferienorte sind nur mäßig besucht. Die Menschen sind abends noch trunken von diesem leuchtenden Abendlicht und verziehen sich in die gemütlichen Restaurants, um bei Seafood und Vermentino den Tag ausklingen zu lassen. So auch ich.

Dolce, oder Nachtisch, ist nicht so mein Ding, winke ich diese Karte also durch. Dennoch stand als Absacker plötzlich ein kleiner Teller vor mir, gefüllt mit Mandarinen und Nüssen – für mich ohnehin viel leckerer als Panna Cotta und Co.

Das Bemerkenswerteste an diesem ligurischen Dessert war jedoch der Teller:

Mein Lieblingsmensch rief sofort lachend: „Das bist ja du!“ Und tatsächlich, mir ging es genauso, ich glaubte ein Foto anzuschauen. Obwohl nur mit wenigen Strichen gemalt hatte diese Zeichnung eine Ausstrahlung, die mich anzog: Rund und bunt, blonde, etwas ungeordnete Haare, Brille, Ringelshirt und vor allem ein breites Strahlen im Gesicht.

Warum war das wohl so? Wie kann eine 55-jährige Businessfrau sich in dieser „Kinderzeichnung“ sehen?

Seit über 25 Jahren bin ich in einem Job, in dem ich mich gerne „Menschenbewegerin“ nenne. Alles was ich tue, fällt unter diese Mission. Ich mobilisiere Menschen, ich möchte sie lernfähig und beweglich und damit zukunftsfähig halten. Mein besonderes Augenmerk lege ich dabei auf die Führungskräfte, die in meinen Augen der Schlüssel zu vielem im beruflichen Kontext sind. Durch meine Arbeit kenne ich sehr, sehr viele dieser wichtigen Menschen, quer durch alle Hierarchieebenen und habe, so bilde ich mir ein, einen guten Überblick darüber, was heute relevant ist. Ich selber bin auch Führungskraft und liebe diese Rolle sehr. So verstehe ich mich heute als Eine, die im Wesentlichen Verantwortung dafür übernimmt, dass „meine Menschen“ wachsen können und leisten wollen – eine beglückende Aufgabe. Für all diese Kontakte und für das, was ich mit und für die Menschen tun kann, brauche ich eine große Offenheit, gleichzeitig hohe Präsenz, und Empathie, das liegt auf der Hand. Deswegen ist Achtsamkeit eines meiner großen Themen geworden.

Darüber hinaus bin ich Coach und Mentorin, Bloggerin, Ehefrau und Mutter, Tochter und Freundin…. Um nur ein paar meiner Lieblingsrollen zu nennen. Mein Thema, das sich durch all mein Denken und Tun zieht ist, mit welchem Denken komme ich zum richtigen Tun? Das Richtige ist dabei für mich das, was mit Leichtigkeit und Energie geht. So happy, happy das vielleicht klingen mag; mir geht es dabei tatsächlich auch um die blöden und schweren Themen, an die genauso herangegangen werden kann. Wenn ich keinen Frieden mit irgendetwas gemacht habe und meinen Weg (den mit Leichtigkeit) gefunden habe, dann wird es nichts. Ein hervorragender Gradmesser für mich.  

Dieses Bild auf dem Teller zeigt nicht gerade eine Businessfrau, eine Führungskräfteentwicklerin, auch keinen Coach. Aber dieses Bild zeigt etwas, was mich viel besser beschreibt, als diese Rollen. Dieses Bild zeigt eine fröhliche Lebensgenießerin. Und genau das sind meine Chancen und Herausforderungen in einem: Innerhalb von so langer Zeit, die ich bereits im Beruf bin, passt es mal sehr gut so zu sein, mal passt es auch weniger. Wenn es passt, dann genieße ich, wenn nicht, dann lerne ich. Ja in der Tat, in diesen zweiten Phasen habe ich stets viel, viel, viel gelernt. Eine meiner festen Überzeugungen ist, dass das Gras auf der anderen Seite des Zauns nicht grüner ist. Bisher habe ich immer den Weg gefunden, um gerne zu bleiben. Nie jedoch durch Ertragen.

Ich bin kein besserer Mensch – nein gar nicht. Ich kann ganz sicher viel weniger als viele andere. Ich habe haufenweise Macken. Ich habe aber gelernt, mich in meinem Tun darauf zu konzentrieren, was ich wirklich kann, und das ist das Neue und das Schöne in die Welt zu bringen. Denn beides braucht immer erst den neuen - und den schönen Gedanken.

Und so gelingt es auch mit Ringelshirt, zerzaustem Haar und breitem Strahlen, mir treu zu bleiben.

 

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