Neid

Foto von Gunther Martin

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Was ich schon immer faszinierend finde, in welchem Tempo und welcher Reichweite sich Moden ausprägen. Ob schön, oder weniger schön… ich denke z.B. an die bauchfrei-Mode vor einigen Jahren, die wirklich nicht jedem Mädchen, jeder Frau stand.

Eine dieser fast viralen Moden erinnere ich gut, ich muss so 12 gewesen sein. Alle, wirklich ALLE Mädchen trugen einen militärgrünen Parka mit cooler Haarbürste in der linken Brusttasche. Und, ich dufte nicht! Meine Eltern verabscheuten Uniformen, die militärfarbenen ganz besonders, und kauften mir einen schicken Anorak (hier müsste ich jetzt Anführungszeichen in die Luft malen – so schick war der). Ich war so neidisch, ich fand das soooo u-n-f-a-i-r!

Dass mir diese Geschichte noch im Kopf ist, zeigt vielleicht, dass mir Neid ansonsten nicht sehr nahe ist. Neid ist natürlich ein sehr komplexes Ding, hat kulturelle Unterschiede und Ausprägungen. Das alles kann ich gar nicht erfassen und beleuchten. Die AFD spielt mit dem Thema sicher ganz erfolgreich.

Als Coach und Führungskraft weiß ich aber um die Wirkung, auch im Unternehmen. Gefühle im Unternehmen sind ja so eine Sache. Schwer zu besprechen, schwer damit umzugehen. Dennoch sind sie ja trotzdem da. Neid ist ja ein eigentlich unproduktives Gefühl, unproduktiv deswegen, weil Neid ja genau genommen überhaupt nichts voranbringt. In der Regel sind die „von Neid Befallenen“ im Vergleich oder im Wettstreit um begrenzte Ressourcen. Andere haben oder bekommen etwas, wovon man selber gerne mehr hätte. Die Beschwerden darüber, wie elegant auch immer verpackt, kommen dann gerne als Vorwurf oder Klage über Unfairness um die Ecke. Oder aber, und das ist noch kritischer, bleiben im nörgelnden Untergrund und vergiften das Klima.

So wie in Großfamilien um Nachtisch oder das größte Stück Pizza gekämpft wird, so scheint es in Unternehmen Aufmerksamkeit und Wertschätzung zu sein, die nie ausreichend da sind. Wer fühlt sich wie gesehen, wird wie gefördert, hat scheinbare Privilegien oder bekommt „Ruhm und Anerkennung“.

Neid ist da, täglich und überall wo Menschen zusammenkommen, nicht nur im Unternehmen. So beobachte ich Menschen, die sich anspornen lassen durch den Vergleich mit anderen, ich sehe aber auch diejenigen, die ein schwarzes Loch in sich zu haben scheinen. In diesem Loch verschwindet alles, was sie an Lob und Wertschätzung auch immer bekommen, auf Nimmerwiedersehen. Abgesoffen in der Schwärze, ohne auch nur die geringste Wirkung hinterlassen zu haben. Kein Moment der Freude oder Zufriedenheit. Ich habe das lange nicht verstanden, aber inzwischen ist mir klar, dass diese Menschen vermutlich andere Geschichten erzählen, als die des versagten Parkas mit der coolen Haarbürste in der linken Brusttasche. So haben sie wahrscheinlich lebensgeschichtlich nie gelernt, mit ihrem so-Sein und ihren Fähigkeiten ausreichend gesehen und anerkannt zu werden.

Ich habe über meinem Schreibtisch einen Spruch hängen, es ist von Victor Frankl. Dort steht: „Man muss sich nicht alles von sich gefallen lassen.“

Wenn es nun gelänge, den Neid-Stich als „Hallo-Wach-Ruf“ zu nutzen, dann könnte man oft aus diesem Gefühlsstrudel aussteigen: Gefühl erkannt – Gefühl gebannt. Der Coach und Autor Jens Corssen hat in seinem tollen Buch „Der Selbstentwickler“ den Quatschi erfunden. Der Quatschi ist die innere Stimme in uns, die da im Kopf so rumquatscht. Es ist hilfreich, zu lernen, diesen Quatschi zu beobachten, oder bewusst produktiv einzusetzen. Das ist Selbstreflexion. Ein hilfreicher innerer Selbstdialog könnte ja sein: Ach wie interessant, da ist es ja wieder, das Gefühl… man könnte man „ihm“, dem Gefühl ja auch einen Namen geben. Denn wer einen Hang hat zu diesem „gelben“ Gefühl, dem Neid hat, der trifft „ihn“ ja öfter an. Wie wäre es mit Horst? Oder Uschi? Die Frage könnte also sein: Hallo Horst/ Uschi, interessant, dass du dich zeigst. Was willst du mir sagen? Das ist dann sogar achtsame Selbstreflexion.

Ich bin zutiefst überzeugt, dass es sehr produktiv und lebensqualitätssteigernd ist, sich solchen Themen nicht hinzugeben und sie damit verhärten zu lassen. Irgendwann ist da nur ein störendes Gefühl zu jemandem, der Grund dafür völlig vergessen… aber kein Anlass ist dann unbedeutend genug, nicht doch rumzustänkern oder einen Konflikt vom Zaun zu brechen.

Ich bin aber auch überzeugt, dass die umkämpften Ressourcen „Gesehen werden und Wertschätzung“ künstlich verknappt sind.  Ich bin inzwischen dazu übergegangen, es in meinen Möglichkeiten nahezu unbegrenzt zur Verfügung zu stellen. Und wenn das immer noch nicht reicht, dann schreibe ich auch mal einen „Liebesbrief“ um schwarz auf weiß nachlesbar zu machen, was derjenige Tolles kann und ist. Es hilft.

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