Vom Tango lernen

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“Das Schönste, was Füße tun können, ist Tanzen.“ Mit diesem Aufruf auf einem bunten Banner hatten wir seinerzeit schon die Tanzphase auf unserer Hochzeit eingeläutet. Ich tanze für mein Leben gerne und finde, dass eine gute Party nur eine gute sein kann, wenn getanzt wird. Wer tanzt, kann ähnlich wie beim Lächeln, keine schlechten Gedanken haben. „Tanzen ist Träumen mit den Beinen“.

Auch wenn ich heute den kreativen Freistil bevorzuge – „you´re never too old to rock“ (dieses Poster zierte die Tanzfläche bei meiner letzten Party) – so habe ich den richtigen Paartanz gelernt. Turniertanz, Standard und Latein, durchaus erfolgreich. Dass es je dazu kommen würde, das war nach einem ziemlich verpatzen Start in der Tanzschule nicht zu erwarten. Langes Kleid zum Abschlussball, fester Partner (den ich furchtbar fand, er hatte feuchte Hände und war viel zu schüchtern), all das war nichts für mein rebellisches Teeniewesen. Aber ich fand den Einstieg dann Jahre später doch noch. Meine Omi war mein allergrößter Fan und ist wirklich zu fast jedem Turnier quer durch den Norden mitgefahren.

Das Geführt-werden war anfangs eine ziemliche Herausforderung für mich, habe ich doch stets einen eigenen Kopf. Ich fand es aber zunehmend spannend, mich darauf einzustellen, wirklich auf allerkleinste Signale zu achten. Das macht gute Tänzer aus. Die achten nicht mehr darauf, welchen Schritt sie wohin setzen (höchstens, um schmerzhaften Tritten auszuweichen). Der Fokus geht auf das Gemeinsame.

Sehr viel später erst sind mir die Parallelen zur guten Führung aufgefallen. Auch wenn beim Tanzen i. d. R. der Mann führt, so ist das Führen (Part 1) beim Tanzen nicht bedeutsamer als das Geführt werden (Part 2). Wenn Part 2 sich nicht führen lässt, warum auch immer, dann kann Part 1 versuchen, was er will, es wird nicht gelingen.

Das ist doch wie im echten Leben: In fast jeder Beziehung gibt es beide Parts. Es funktioniert nur, wenn es ein Einvernehmen darüber gibt, wer welche Rolle einnimmt und die Bereitschaft existiert, das auch zu tun. Das ist natürlich nicht statisch, sondern kann sich situativ, nach Reife oder nach Lust und Laune auch ändern.

Wir haben Rollen, in denen über den Rahmen festgelegt ist, welchen Part man innehat, so zum Beispiel im Unternehmen, in der Erziehung, aber auch in Vereinen, Parteien…. Hier bestimmt der Rahmen, wer der Chef ist. Aber egal wo, es muss von allen Beteiligten entschieden werden, ob sie bereit sind, die Rolle anzunehmen und zu akzeptieren. Führungskräfte, Parteichefs, denen die Follower fehlen, sind nicht nur arme Socken, die sind auch wirkungslos.

Fast jeder ist in seinem Leben doch stets in beiden Rollen. So ist man im Unternehmen der Mitarbeiter von jemandem, im Verein jedoch der Vorsitzende und auch Mutter oder Vater und verantwortlich für die Erziehung. Hier gibt es sicher auch Familien, in denen die Hierarchie etwas anders ausgeprägt ist und die wahren Chefs die Kinder sind. Ich denke, auch in den allermeisten Freundschaften gibt es diese Rollenverteilungen – bewusst oder unbewusst. Es gibt Freundinnen, die achte ich so hoch, da begebe ich mich gerne in den Part 2, ohne auch nur den Hauch an Nähe zu verlieren.

Ich habe auch immer wieder Chefs, mit denen die Führungsarbeit (ja, dieses Wort ist bewusst gewählt, es ist gemeinsame Arbeit) besonders toll gelingt. Führungsarbeit ist Beziehungsarbeit. Beide Parts müssen sich sehr aktiv entscheiden, sich darauf einzulassen und achtsam wahrzunehmen, was der andere jeweils braucht, um jeweils gut sein zu können. Das fällt natürlich nicht vom Himmel, sondern muss herausgeschält werden – idealerweise im Miteinander. Eine allzu passive Haltung bei Geführten ist weder hilfreich noch angemessen. Jeder hat ja so seine eigene „Gebrauchsanleitung“ und es ist unglaublich hilfreich, die miteinander zu teilen. Dieses wertvolle Wissen übereinander bringt viel mehr Qualität und Freude ins Miteinander.

Führung braucht ständiges Training, wie das Tanzen. Auf jeden neuen Partner muss man sich gut einstellen. Das Hier und jetzt ist entscheidend, nicht das morgen oder irgendwann. Und es ist nicht wie beim Fahrradfahren, für das „einmal gelernt, nie wieder vergessen“ gilt. Es braucht die technischen und methodischen Kenntnisse als Grundvoraussetzung. Das reicht aber nicht. Es braucht mindestens genauso ein gutes Einfühlungsvermögen und den festen Willen dazu, genau wahr- und ernstnehmen zu wollen, was „der Partner“ braucht, um sich einzulassen.

Der argentinische Tango ist in der modernen Führungsarbeit vielleicht die viel spannendere Analogie. Denn dort erfolgt die Führung, anders als beim klassischen Tango, der mit Armen und Beinen führt, über den Oberkörper (de corazón a corazón – von Herz zu Herz). Es werden keine festgelegten Choreographien getanzt. Der Rahmen steht, also es geht um Tango und nicht um Walzer, der Rest ist Improvisation. Die dem Tango zugeschriebene Erotik, kann man ebenso gut durch Verbundenheit ersetzen. Oder, ich zitiere den Tangolehrer einer Freundin: „Macht oben Liebe und nicht unten.“

Ich finde, besser kann man moderne Führungsarbeit nicht beschreiben. Gegenseitiges vertrauensvolles Einlassen, um damit umzugehen, was genau jetzt ist, im Hier und Jetzt.

10 Points!


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