Schön, dass du da bist

Foto von Gunther Martin

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Wenn ich früher von der Schule kam, genauer gesagt zog sich die Frage auch weit in meine Berufstätigkeit hinein, wurde ich von meiner Omi mit einem: „Wie war´s? Hast du eine Belobigung oder einen Anraunzer bekommen?“ begrüsst. Lob oder Tadel hatten in ihrer Welt offenbar eine große Bedeutung. Spaß hingegen offenbar nicht so sehr, denn danach fragte sie nie.

Ich habe gerade gelesen, dass 42% aller deutschen Arbeitnehmer*innen befinden, dass ihre Leistung nicht ausreichend gewürdigt wird. Außerdem gäbe es, so habe ich es auch gelesen, einen Zusammenhang zur physischen – und psychischen Gesundheit.

Ich verstehe das und gleichzeitig verstehe ich es nicht ganz. In meinem Kopf existiert zum Lob, denn Leistung würdigen ist genau das, ein ganz differenziertes Bild. (Ich möchte Feedback hier bewusst außen vor lassen und zu einem anderen Zeitpunkt durchflanieren). Ich weiß um den Wunsch nach Anerkennung und erlebe auch Menschen, die sich wirklich drüber freuen. Ein kleines „gut gemacht“ lässt sie strahlen. Gleichzeitig empfinde ich es immer so, dass ich mich als Lobende erhebe und die Wertungshoheit für mich beanspruche. Was ist gut? Was ist vielleicht sogar sehr gut? Richtig klasse finde ich das nicht. Von Freud stammt das Zitat: „Gegen Angriffe kann man sich wehren, gegen Lob ist man machtlos.“ - Stimmt! Ob ich deswegen dem schwäbischen Zitat „nichts gesagt ist genug gelobt“ (ich bleibe mal bei hochdeutsch, um mich nicht zu blamieren :-)) ganz und gar zustimme, da bin ich allerdings nicht sicher.

Ich bin aber auch wirklich nicht gut im Lob annehmen. Es ist mir immer irgendwie peinlich. Am allerschlimmsten ist es vor anderen. Ich erinnere mich an ein Dienstjubiläum und sowohl Chef als auch Betriebsrat trugen lobende Worte vor. Was sicher sehr wertschätzend gedacht war, war purer Stress für mich. Ich hätte im Boden versinken mögen. Das war schon immer so. Ich glaube, ich reagiere besonders empfindlich darauf, wenn sozusagen Selbstverständlichkeiten belobt (das Wort ist eine Schöpfung) werden. Ich bin sicher, meine Körpersprache zeigt mein großes Unbehagen stets überdeutlich.

Ich empfinde Wertschätzung jedoch dann, wenn mir Vertrauen entgegen gebracht wird. Etwas anvertrauen, zutrauen, das tut mir gut und ist mir viel wertvoller als Lob.

Vor vielen Jahren habe ich ein Modell kennengelernt, dass mir Erleuchtung brachte – das Strokesmodell aus der Transaktionsananlyse (mir gefallen statt Strokes die Streicheleinheiten eigentlich viel besser). Die bedingten Strokes sind im Prinzip Lob, sie beziehen sich auf etwas. Dafür bekommst du von mir Wertschätzung. Die unbedingten sind viel stärker... Schön, dass du da bist. Ich sehe dich, ich interessiere mich für dich. Ich mag und akzeptiere dich, so wie du bist. Ist das nicht ein Riesenunterschied?

42% aller deutschen Arbeitnehmer*innen bekommen also gemäß dieser Befragung zu wenig bedingte Strokes. Ich habe ja die These, dass den Befragten einfach die falsche Frage gestellt wird. Wer nach ausreichend Lob befragt wird, wird doch auf die falsche Fährte gesetzt. Müssen Führungskräfte wirklich nur lernen, Lobwurfmaschinen zu werden? Oder geht es eigentlich um etwas Anderes? Ich vermute, dass es viel mehr darum geht, wahrgenommen zu werden. Der Chef soll sich für mich interessieren. Ich bin sicher, das ist ein tief menschliches Bedürfnis und gilt auch in Zukunft, vielleicht sogar noch mehr.

Vor vielen Jahren war ich mal in einem kleinen Team mit Kollegen, die scheinbar süchtig waren nach Lob. Wie oft war das ein Thema in unseren Gesprächen, dass das, was wir leisteten nicht ausreichend gewürdigt wurde. Das war schwierig. Ich konnte gar keine Resonanz dazu finden, denn ich empfand es nicht so. Es war eher so, dass gar nichts bei denen ankam. Jedes Lob fiel in ein schwarzes Loch, verschwand auf Nimmerwiedersehen und hinterließ nicht mal ein kleines Rauchwölkchen oder ein kurzes gutes Gefühl. Kein Lob der Welt konnte hier heilen. Ich erinnere mich nicht gerne an die Atmosphäre in dem Team. Heute wüsste ich besser damit umzugehen.

Als Coach habe ich heute immer wieder die Empfehlung, sich selbst dahingehend zu überprüfen, ob dieses unbedingte gute Gefühl zu jedem Mitarbeitenden/ Kollegen existiert. Nur dann kann man eine Beziehung aufbauen. Es reicht nicht, jemanden dafür zu wertschätzen, Probleme wegzumachen. Kannst du den anderen Menschen für sein so-sein anerkennen und schätzen? Kannst du das Besondere sehen? Kannst du das mit positiven Emotionen belegen, oder bleibt es nur ein rationaler Gedanke. Kannst du dich ein bisschen „verlieben“ in diese Besonderheit? Ich glaube fest daran, dass, wenn das fehlt, dann fällt auch die unbedingte Wertschätzung schwer.

Das hätte ich vor vielen Jahren unserem Chef empfehlen sollen. Wer mit Menschen zu tun hat, die Lob so dringend einfordern, kann das nicht mir Lob beantworten. Fehlender Selbstwert braucht eine andere Ansprache.

Ich glaube fest, dass es noch wichtiger wird, als es schon immer war, Grund-los zu wertschätzen. Die, die wir heute um die 50 sind, haben doch unsere Kinder, die jetzt in die Arbeitswelt kommen, so erzogen: du bist toll, wie du bist. Ich bin sicher, genauso empfinden wir auch für unsere Kinder und jede*r sollte so aufwachsen können, in einer Atmosphäre unbedingter Wertschätzung und Vertrauens.

Wer so geprägt ist, möchte logischerweise doch auch im Lebensbereich Arbeit genau so behandelt werden, nämlich als interessanter Mensch, mit Ecken und Kanten, mit Einzigartigkeit – vor allem mit dem Erleben: Schön, dass du da bist.


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