Sichtbarkeit

Foto von mir einer mir unbekannten Fotografin

Es sind ja schon sehr spezielle Zeiten während dieser Covid19-Pandemie – arm an realen Kontakten, reich an neuen Herausforderungen und Lernchancen, in vielerlei Hinsicht. Für mich ist eines dieser Themen die „Sichtbarkeit“, und damit bin ich bestimmt nicht allein. Wenn mir auch klar ist, dass ich mit dieser persönlichen Reflexion eher ein „spätes Mädchen“ bin. Meine bevorzugte Position ist vor der Bühne, auf alle Fälle in der Beobachterposition.

Zunächst war da mein innerer Kampf mit der Kamera. Es hat mich anfangs wirklich gequält, diese Kamera in den nun ausschließlich stattfindenden online-meetings wirklich anzuschalten. Als leicht photophobischer Mensch empfand ich es als eine Zumutung, ständig von einer Kamera beobachtet zu werden. Dann noch dieses kleine Feld im unteren Eck des Bildschirms, es hat mich mehr als nervös gemacht, mich selber zu sehen. Alle anderen sahen irgendwie natürlicher, besser, freundlicher, gesünder... aus. Nun gut, dieses persönlichen Knoten habe ich inzwischen gelöst und bin sogar ein Freund von #Kameraan geworden.

Als nächstes war es die Sichtbarerhaltung meiner Themen... butterweiche... in einem langanhaltenden Krisenmodus, bei dem es natürlich um die „wirklich, wirklich wichtigen“ Themen geht. Um Themen globaler Bedeutung, die nachvollziehbarer Weise gerade dringender sind (wobei … na ja...).

Und dann gibt es noch diese ganz neue Sichtbarkeit, die öffentliche. Als Kommunikatorin und moderner Führungskraft ist es mir stets wichtig, social media und die neuesten Trends zu kennen, zu können und sanft zu bespielen. Das hieß für mich bisher, dezent, unauffällig, freundlich. Profil halbwegs aktuell, hier und da mal ein Like, vorzugsweise bei Menschen, die ich kenne und mag. Also richtig nett... und wir alle wissen... nett ist die kleine Schwester... letztlich konturenlos.

Die letzten zwei Jahre haben da etwas verändert: Eine exponentielle Dynamik und ein empfundener innerer Druck (oder war es vielleicht doch eher ein Wunsch? Bleibe ich doch besser bei „diffus“) nach Sichtbarkeit, nach Resonanz. Aber ist es nicht unbescheiden? Ist es nicht vielleicht sogar etwas gefährlich? Überall liest man doch von Hatern und anderen Scheußlichkeiten. Will ich wirklich, wirklich gesehen werden? Hätte ich meine Omi gefragt, die hätte ein sehr klare Meinung gehabt.

Ich erlebe derzeit fast täglich, wie unglaublich heiß dieses Thema ist, wie viele Menschen darum ringen, sichtbarer zu werden, ihr Business umzustellen, sich zu positionieren – wieder, oder mehr stattzufinden. Ich erlebe Menschen, die bisher eine großen Bogen um berufliche Netzwerke gemacht haben und sich jetzt schämen, nun erst anzufangen, mit wenigen Kontakten... was sollen die anderen denken? Egal wie, es ist ein vielschichtiges, sehr aktuelles Thema.

Ich habe ein Interview gegeben für eine Konferenz, eine Bitte einer Netzwerkpartnerin. Das fiel mir leicht. Über meine Themen kann ich locker plaudern. Nun kam gerade eine Mail des Veranstalters mit der Bitte, ich solle Werbung über meine sozialen Medien machen. Riesenfoto von mir – AUTSCH!

Was werden die anderen denken? Werden die mich nicht für... ja was denn? … halten? Angeberisch, unbescheiden, Rampensau? Natürlich kann ich mir dabei zuhören, meinem inneren Kritiker. Natürlich weiß ich, dass das kein sinnvoller Gedanke ist, aber er ist halt doch ein bisschen da. Ich versuche mir dann klarzumachen, dass ich mich nicht als best-ager Model bewerbe, oder Werbung für Waffen oder Schmuddelkram mache. Ich zeige mich mit meinen -, und für meine Themen, mit meinen mehr oder weniger interessanten Gedanken – und manchmal gehört leider auch ein Foto dazu.

Wofür stehst du? Der Titel des gleichnamigen Buches von Giovanni die Lorenzo und Axel Hacke hatte mir schon vor langem gefallen. Ein Gespräch zwischen Freunden über Haltung und Werte. Früher eher ein Thema bei Kneipengesprächen oder auf Demos, heute immer stärker im Netz.

Wir wissen inzwischen, was ein „Like“ im Gehirn auslöst, aber über diese etwas schnöde Erkenntnis hinaus habe ich auf diese Art und Weise inzwischen Menschen kennengelernt, die ich anders nie getroffen hätte. Warmherzige, wertschätzende Menschen, und ich freue mich, sie in meinem Leben zu haben. Das ist deutlich mehr als „Netzwerk“, erwächst aber daraus. Das kann ich natürlich nicht von allen, der inzwischen recht vielen Kontakte sagen, da sind viele „Sammler“ dabei. Das stört mich nicht, mein Tag ist endlich. Auch suche ich hier nicht nach neuen Freundschaften.

Was ich wirklich erfahren habe ist, dass Sichtbarkeit echten Austausch fördert, echte Unterstützung möglich macht, in Themen, für die ich stehe. Geben und nehmen, eher geben als nehmen. Andere unterstützen, ohne Gegenleistung. Gemeinsam etwas aushecken und Wirklichkeit werden lassen. Das ist wirklich eine neue Form der Zusammenarbeit, des hierarchiefreien, firmenübergreifenden Miteinandergestaltens.

Ohne den Mut sich zu zeigen, findet man auf dieser Bühne nicht statt. Schade wäre es, denn es ist nicht nur gut für die Reichweite, sondern bereichert vor allem das (Arbeits-)leben. Geben und Nehmen funktioniert in diesem Raum sehr gut. Sehen und gesehen werden ist dafür die Bedingung. Ein dann-und-wann-mal-Foto der Preis.

Ich kann etwas vorantreiben, ich kann Einfluss nehmen, wenn ich den Mut habe, Position zu beziehen, mich zu zeigen, für etwas zu stehen. Und gerade erst wurde ich dafür sehr belohnt… und ein Herzensprojekt wird gefördert.


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